Menschlich peinlich, historisch falsch, politisch verheerend

MG

 

Frau Floßmann und nachträglich auch Herr Obst würdigen das stadtoffizielle Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Judenvernichtung zum politischen Gezänk herab. Sie bestätigen damit den durch Pfarrer Stephan Götting am 9.11.2017 erhobenen Vorwurf, dass der Redebeitrag Floßmanns angesichts des eigentlichen Anlasses des Gedenkens deplatziert wirkte.

Es gäbe ausreichend Grund für beide, inne zu halten, nicht nur, weil sich auch im Nachgang zum 9.11. weitere Bürger empören:

Herr Obst sprach in seiner Rede in Bezug auf die Gesellschaft der Weimarer Republik von „unserem herrlichen Deutschland“. Bereits diese Formulierung wirft die Frage auf, ob er tatsächlich ausreichend um die damaligen, trostlosen, deutschen Zustände weiß. Denn diese waren von Weltwirtschaftskrise, Inflation, Massenelend, Militarisierung, Revanchismus, Demokratieverachtung, politischer Radikalisierung und Erstarken des Faschismus mit gewalttätigen Auseinandersetzungen und Todesopfern gekennzeichnet. Die in ihrer Dimension bis heute einmaligen und unvorstellbaren Verbrechen von Weltkrieg und Völkermord stehen in geschichtlicher Kontinuität zu jener angeblichen „Herrlichkeit“.

Im Unterschied zum nachträglich Behaupteten hat Frau Floßmann am 9.11. nicht erkennbar Bezug auf einen Volkskammerbeschluss von 1990 genommen. Vielmehr stellte sie die schlichte Behauptung auf, das die SED, indem sie nach 1946 auch ehemalige NSDAP- Mitglieder aufgenommen hatte, dafür verantwortlich sei, das es heute noch Antisemitismus in der ostdeutschen Gesellschaft gäbe. Sie erweckte damit erneut den Eindruck, sich mit einem brisanten Themenfeld lediglich parteipolitisch motiviert und oberflächlich befassen zu können. Frühere NSDAP- Mitglieder hatten auch die „Blockparteien“ wie CDU, LDPD, insbesondere aber die NDPD, massenhaft aufgenommen. CDU Ost, NDPD, LDPD und große Teile der Bauernpartei gingen nach 1990 in der heutigen CDU und der FDP auf. Keinerlei Einfluss hatte die Mitgliederzusammensetzung der SED auf die im Westen nach 1945 gegründeten Parteien. Das hier aber CDU, FDP und selbst die SPD noch viel mehr ehemalige Nazis aufnahmen als die SED, viele dort auch hohe Ämter bekleiden konnten und der aktuelle Antisemitismus auch in Westdeutschland von Juden beklagt wird, überging Frau Floßmann am 9.11. Dabei hätte schon ein Blick in die bei Wikipedia geführte Liste mit allen Funktionären und Berufspolitikern deutscher Parteien, welche vor 1945 in die Strukturen des Naziregimes eingebunden waren, genügt, um informierter und teilnahmsvoller auftreten zu können.

Dies erweckte den Eindruck, dass es ihr nicht vordergründig um die gemeinsame und über partei- wie weltanschaulichen Grenzen stehende Erinnerung an die erbarmungswürdigen Opfer der in seiner Vernichtungsmonstrosität einmaligen Nazidiktatur ging, sondern eher um eine öffentliche Diskreditierung Anderer, diesmal samt löcheriger Geschichtslogik. Denn die Fehler der DDR- Politik gegenüber Israel sind nicht gleichzusetzen mit der Shoah, welcher sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Als Teilnehmer habe ich all dies, demokratisch geduldig wie in Herrn Obsts Rechtfertigung gefordert, ertragen und mich erst nach dem desaströsen Ende der Veranstaltung über den Floßmannschen Versuch einer Zurechtweisung von Herrn Götting echauffiert. Was hätten noch lebende Nachfahren der damaligen Opfer wohl am 9.11.2017 in Hildburghausen empfunden?

Wir können den Schülern und Pädagogen des Gymnasiums Georgianum nicht genug Respekt bekunden: Sie haben, wiederholt und bewegend, am 9.11.2017 eine Veranstaltung an der Gedenkstele am Platz der ehemaligen jüdischen Synagoge in der Gerbergasse gestaltet. Dabei bewiesen sie wesentlich mehr Fähigkeit zu Mitgefühl, historischer Einordnung und Bewusstsein für tatsächliche aktuelle Gefahren, welchen Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit heute ausgesetzt sind, als die beiden Berufspolitiker Floßmann und Obst.