8. Mai: Gemeinsames Gedenken in Hildburghausen
Auf Einladung der Stadtverwaltung Hildburghausen, des Linke- Kreisverbandes und der Südthüringer Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wurde am 8. Mai auf dem Zentralfriedhof der Kreisstadt der Befreiung vom Faschismus und der Opfer der Nazidiktatur gedacht.
Unter den Bürgern, welche der Einladung von Bürgermeister Patrick Hammerschmidt und Linke- Kreischef Johannes Schilling folgten, waren auch Stadträte von Feuerwehr, Linke und Pro HBN anwesend.
Vor den Gedenkobelisken für die Angehörigen der sowjetischen und der westalliierten Streitkräfte wurden Blumengebinde abgelegt.
Hammerschmidt verwies in seiner Eröffnungsrede auf die Leiden der von den Nazis Verfolgten und erinnerte daran, dass in der heutigen Zeit Frieden keine Selbstverständlichkeit ist.
Andrea Hartung erinnerte an die denkwürdige Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäckers, der 1985 erstmals in Westdeutschland den 8. Mai als einen Tag der Befreiung und gleichzeitig als Voraussetzung für die spätere Entwicklung in Europa bezeichnete.
Dr. Peter Nowak schilderte, wie er als Besucher Gegenden in der früheren Sowjetunion erlebte, welche im Krieg massiv unter den Gräueltaten von Wehrmacht und SS gelitten hatten. Unter anderem lernte er ein Dorf in Weißrussland kennen, dessen Bevölkerung fast vollständig durch die Besatzer ausgelöscht wurde. Er bedauerte, dass bei den offiziellen Feierlichkeiten im Bundestag keine Vertreter Russlands und Weißrusslands eingeladen wurden.
Mathias Günther erinnerte daran, das mit dem blutig niedergeschlagenen Bauernkrieg von 1525 ein Zeitalter der Autoritätshörigkeit und des Untertanengeistes in Deutschland Einzug hielt, welche im Führerkult der vorgeblichen „Volksgemeinschaft“ des 20. Jahrhunderts und der Verstrickung in den Massenterror gegen alle Menschen, welche nicht dem ausgrenzenden, brutalen Bild der Nazis entsprachen, gipfelte. Die Demokratie sei zu verteidigen, da sie keinen Selbstzweck darstelle, sondern Gerechtigkeit und Frieden in der Gesellschaft garantieren soll. Im Widerstehen gegen Kräfte, für welche die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen bis 1945 heute lediglich einen „Fliegenschiss“ darstellten, müsse man auch die Politik des faschistoiden Oligarchen Trump wie die des blutigen Autokraten Putin ablehnen. Darin läge die Verantwortung gegenüber den Opfern von Weltkrieg und Faschismus.
Günther dankte Bürgermeister Hammerschmidt für die Organisation des gemeinsamen Gedenkens und nannte es beklemmend, dass die derzeitige Landesregierung keinen zentralen Festakt für den 80. Jahrestag der Befreiung in Thüringen durchführen ließ.
Nachfolgend dokumentieren wir den Redebeitrag von Mathias Günther auf der Veranstaltung:
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 15. Mai 1525 vernichteten fürstliche Heere den aufständischen Bauernhaufe Thomas Müntzers bei Bad Frankenhausen.
Die kurfürstlichen Söldner brachen zuvor die vereinbarte Waffenruhe und töteten 6000 Bauern.
Die Rache der sich hochwohlgeboren Dünkenden war blutig. 100 000 Menschen fielen der herrschaftlichen Gewaltorgie zum Opfer.
Die wenigsten der Bauern starben dabei auf dem Schlachtfeld, sondern wurden als wehrlose Zivilisten abgeschlachtet.
Exekutionskommandos zogen anschließend durch das Land, erzwangen hohe Abgaben von den am Leben Gelassenen.
Diese Brutalität war noch nicht so systematisch angelegt wie der Massenterror späterer faschistischer oder stalinistischer Regimes, aber er verströmte bereits die gleiche angsteinflößende Botschaft.
Ein autoritärer Staat bildete sich heraus.
Am 8. Mai 1945 schwiegen, nach dem bis dahin entsetzlichsten aller Kriege, in Deutschland die Waffen.
Unvorstellbare 60 Millionen Opfer der jahrelangen Kriegshandlungen, aber auch der unterschiedlichen Spielarten nationalistischer Faschismen, waren zu beklagen.
Abermillionen an Überlebenden waren zwar dem Inferno der physischen Vernichtung entgangen, landeten aber, oftmals traumatisiert, in einer Trümmerwüste des Mangels und der Trostlosigkeit.
Was verbindet diese beiden historischen Daten miteinander?
Die Bauernkriege begannen als Aufstand des so genannten „gemeinenMannes“ und endeten in dessen gewalttätiger Verwandlung in einen stummen, verängstigten Untertan wie Stefan Reinecke in der taz es ausdrückte.
Der Dramatiker Heiner Müller meinte einmal, der im Blut ertränkte Aufstand von 1525 habe den deutschen Nationalcharakter zermahlen.
Er bezog sich auf die verhängnisvolle, anschließende Entwicklung zur Autoritätshörigkeit der Deutschen.
Im irrationalen Führerkult und dem Anzetteln von zwei Weltkriegen des 20. Jahrhunderts gipfelte diese Entwicklung offenbar.
Die Nazis brauchten und wollten genau solche Untertanen, die, umgangssprachlich ausgedrückt, bereit waren „nach oben zu buckeln und nach unten zu treten“.
„Dem Führer entgegenarbeiten“ hieß das damals.
Dieses Treten sollte kompromisslos sein.
Den Nachbarn denunzieren, die Repression gegen andersdenkende und andersgläubige Bekannte oder Verwandte begrüßen - ja selbst an brutalsten Übergriffen teilnehmen, das war nach dem Geschmack derer, welche das einzelne, selbstbestimmte Individuum in der ideologisch begründeten Gemeinschaft aufgehen sehen wollten.
Mittels dieser angeblichen „Volksgemeinschaft“ sollten verbrecherische Träume und Rassenwahn in jene Vernichtungspolitik münden, deren Opfer uns heute mahnen und deren Ergebnisse uns immer wieder fassungslos machen.
Nichts anderes wollen auch die aktuellen Ableger des Neofaschismus.
Wenig verwunderlich, das heutige Protagonisten der extremen Rechten die ungeheuerlichen Verbrechen des Nazireiches als „Fliegenschiss“ abtun wollen, wenig verwunderlich, dass in ihrem neuerlichen Größenwahn ertappte Neurechte sich dann in Drohgebärden gegenüber Demokraten ergehen.
Wer empathielos mit Lebenden umzugehen gedenkt, den bekümmert auch die Instrumentalisierung der damaligen Opfer nicht beim Versuch, Geschichte umzudeuten.
Hatten die Nazis einst die aufständischen Bauern des Mittelalters zu einer völkischen Bewegung verklärt, wird heute Hitler kurzerhand zum Sozialisten erklärt. Es mag absurd erscheinen, hat aber Methode.
Wir gedenken heute unterschiedslos aller Opfer des Naziregimes.
Und wir dürfen beim Gedenken nicht stehen bleiben, sondern müssen heute deutlich widersprechen, wenn erneut gegen Minderheiten und Schwache gehetzt wird, Menschen ausgegrenzt und als Sündenböcke sogar wieder gejagt werden sollen.
Demokratie ist kein Selbstzweck.
Sie soll Garant einer gerechten und vor allem friedlichen Gesellschaft sein.
Es gilt sie heute gegen die neuerlichen Attacken einer extremen Rechten zu verteidigen, wie noch nie.
Radikaldemokratische Impulse gab es leider nicht so viele in der deutschen Geschichte.
Deshalb gilt es in diesem Jubiläumsjahr 2025 sowohl daran zu erinnern, was die Bauern einst wagten und auch daran, was jenen widerfuhr, welche den Nazis widerstanden oder einfach nicht in deren primitives, mit äußerster Brutalität durchgesetztes Menschenbild passten.
Und wir müssen uns der Verteidigung der Demokratie auch international stellen.
Es gilt dem blutigen russischen Autokraten Putin genauso zu widerstehen und solidarisch mit der angegriffenen Ukraine zu sein, wie wir als Demokraten die gegen einen faschistoiden Oligarchen Trump protestierenden Menschen in den USA unterstützen.
Würden wir das unterlassen, würden wir auch dem Andenken der hier Ruhenden nicht gerecht.
Die Angehörigen der alliierten Streitkräfte brachten die Befreiung von Krieg, Terror und Untergang für die Deutschen. Sie waren der winzige Lichtblick auf eine mögliche Zukunft inmitten des selbstverschuldeten Infernos.
Deshalb gilt:
Wer heute nicht feiert, hat verloren. Und das völlig zu Recht und hoffentlich für immer.
Ich bedauere, dass es die Thüringer Landesregierung nicht fertigbrachte, am heutigen 8. Mai einen offiziellen Festakt zu veranstalten, es handelt sich immerhin um ein herausgehobenes Jubiläum.
Vielen Dank an die Stadt Hildburghausen für das heutige gemeinsame Gedenken. Vielen Dank für Ihr Erscheinen und Ihre Aufmerksamkeit.
Fotos: Johannes Schilling, Heiko Batholomäus, Mathias Günther